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Das Bundesgericht äussert sich zur Ausgestaltung der Kindesanhörung

In einem Urteil vom 25. August 2020 kassierte das Bundesgericht einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug und hiess die Beschwerde einer Kindsmutter gut, die bei der Zuteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge eine Verletzung des Anhörungsrechts des Kindes geltend machte.

Die Kindsmutter und Beschwerdeführerin verfügte ab Geburt über das alleinige Sorgerecht. Nach der Trennung der Kindseltern im Jahr 2009 bestand zwischen Kind (Jahrgang 2005) und Kindsvater kein Kontakt. In den Jahren 2012 und 2015 wurden Gefährdungsmeldungen bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde eingereicht, durch den Kindsvater, und durch den Leiter der Schule des Mädchens. Im Jahr 2013 ordnete die KESB eine Beistandschaft an und beauftragte den Beistand, den Informationsaustausch und Kontaktaufbau zwischen Kind und Vater zu gestalten, wogegen die Kindsmutter erfolglos Beschwerde erhob. Im Juni 2015 beantragte der Kindsvater bei der KESB die gemeinsame elterliche Sorge über das Mädchen. In der Folge wurde eine Kindsvertreterin eingesetzt und eine Erziehungsbeistandschaft, um die Situation abzuklären. Im Jahr 2018 teilte die KESB den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge für das damals 12-jährige Mädchen zu. Die Mutter des Kindes erhob daraufhin Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug und machte geltend, dass das Anhörungsrecht ihrer Tochter verletzt worden sei.


Im Urteil setzten sich die Richter des Bundesgerichts mit der Frage auseinander, ob die Vorinstanz auf eine Anhörung des Kindes im Beschwerdeverfahren gegen die Zuteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge verzichten durfte. Das Bundesgericht hält fest, dass eine kinds- und altersgerechte Anhörung im Rahmen eines natürlichen Gesprächs erfolgen und dem Kind durch das Stellen offener Fragen den grösstmöglichen Freiraum bei deren Beantwortung ermöglichen soll.


Das Gericht stellt weiter fest, dass eine «Anhörung» des damals 12 Jahre alten und damit urteilsfähigen Mädchens durch die KESB stattfand, weshalb im konkreten Fall das Verwaltungsgericht des Kantons Zug – eine korrekte Anhörung des Kindes durch die KESB vorausgesetzt – grundsätzlich auf eine (erneute) Anhörung im Beschwerdeverfahren hätte verzichteten dürfen. Das Protokoll der Anhörung durch die KESB zeige jedoch, dass das Mädchen in keiner Weise nach ihrer Meinung zur Ausgestaltung der elterlichen Sorge gefragt worden sei. Genau genommen sei ihr überhaupt keine Frage gestellt, sondern sie sei vor die Tatsache gestellt worden, dass die KESB die gemeinsame elterliche Sorge anordnen werde. Es sei nicht nachgefragt worden, was sie davon halte oder was für sie dafür oder dagegen sprechen könnte oder welche Gefühle das in ihr auslöse. Das den Fall führende Behördenmitglied habe vielmehr bekräftigt, dass und weshalb die KESB die elterliche Sorge installieren werde. Das Bundesgericht stellt somit fest, eine Anhörung des Kindes im erforderlichen Sinne habe nicht stattgefunden, weil das Mädchen keinen Raum gehabt habe, ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die KESB habe damit keine rechtsgenügliche Anhörung des Kindes durchgeführt.


Das Bundesgericht kommt dann zum Schluss, dass die KESB und das Zuger Verwaltungsgericht den Sachverhalt mangels einer rechtsgenüglichen Anhörung des Kindes willkürlich festgestellt haben. Die Vorinstanz habe zudem auch dem persönlichkeitsrechtlichen Aspekt der Kindesanhörung nicht die die nötige Beachtung geschenkt und damit Bundesrecht verletzt. Das Gericht hebt somit den Entscheid der Vorinstanz auf und weist die Sache zur Durchführung einer Anhörung des Kindes und zu einem neuen Entscheid an das Zuger Verwaltungsgericht zurück.


Zum Urteil 5A_92/2020 vom 25. August 2020

Zum Urteil BGE 133 III 553 vom 5. Juli 2007

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